Ein Insektenstich in der Kniekehle entzündete sich heftig und durch das Lipödem und Wasser in den Beinen war meine gesamte Wade schnell entzündet. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und ging in eine Notfallpraxis.
Der behandelnde Arzt dort war ein Phlebologe und dieser machte bei der Anamnese ungefragt und wenig feinfühlig Anmerkungen zu meinem Äußeren: „Sie haben eine schlanke Taille, aber kräftige Arme und Beine, die nicht zum schmaleren Rumpf passen“. Ich nickte unsicher.
Zudem stellte er mir Fragen zu meinem Empfinden der Beine, wie etwa: „ Bekommen Sie schnell blaue Flecken?“ oder „Ermüden Ihre Beine schnell?“. Da ich beides mit ja beantwortete, kam von ihm prompt die Diagnose „Lipödem, vermutlich Stadium 2.“ Das saß und war so gar nicht das, was ich erwartet hatte. Mit einer Salbe für den Stich und vielen Gedanken im Kopf ging ich weinend und völlig aufgelöst zu meinem damaligen Freund, um ihm davon zu erzählen.
Ich war schon immer kräftiger als die meisten anderen Mädchen. Mit 14 betrieb ich deshalb exzessiv Sport und erreichte mein Wunschgewicht. Mit 16 jedoch nahm ich plötzlich und kontinuierlich immer mehr zu, besonders an den Beinen. Damals schob ich es auf die Pille und versuchte, meine Beine fortan so gut wie möglich zu verhüllen. Viele Betroffene kennen das: Sommer, 28 Grad, lange Hose. Strand mit Freunden, Sporthose über dem Bikini oder gleich ein zweites Handtuch darüber legen.
Die ganze Jugend beschäftigte mich mein Gewicht sehr, jedoch schien ich machtlos gegen die Zunahme an den Beinen, nahm es irgendwann einfach als gegeben bin.
Einige Wochen nach dem Termin in der Notfallpraxis hatte ich dann ein Aufklärungsgespräch bei besagtem Phlebologen, der mir direkt Broschüren für eine Liposuktion, sowie ein Rezept für die Kompressionsstrumpfhose mitgab. Das Gespräch verlief wieder wenig einfühlsam, wobei noch hinzukam, dass ihm scheinbar gar nicht in den Sinn kam, dass ich als Studentin überhaupt keine Möglichkeit gehabt hätte, eine OP im Rahmen von 5.000 – 8.000 € selber zu zahlen.
Die ersten hilfreichen Tipps bekam ich dann im Sanitätshaus beim Vermessen der Kompression. Viel einfühlsamer wurde ich hier bzgl. Ernährung und wo ich mit Betroffenen in Kontakt kommen könnte, beraten. Gleich im Anschluss suchte ich nach Facebook-Gruppen von Lipödem-Betroffenen und betrieb Internetrecherche zu der Erkrankung. Zudem versuchte ich nun auf eine kohlenhydratarme Ernährung umzusteigen.
Laut manchen Betroffenen waren Alkohol und Milchprodukte der „Feind“, weshalb ich zunehmend nur noch mit schlechtem Gewissen aß.
Das Thema Lipödem kreiste immer in meinem Kopf, ich konnte nichts mehr genießen, da ich befürchtete, dass es mein Befund verschlimmern würde.
Am Ende war ich so frustriert von meiner Situation, dass ich aufgab, auch da sich nach Wochen des Verzichts auf der Waage überhaupt nichts getan hatte. Schließlich stellte ich die ganzen Einschränkungen ein und überlegte, dass ich mein Gewicht vorher ja auch immer stabil gehalten hatte. Was könnte ich also noch ändern?
Ich entschied mich, mehr Sport zu machen und nur auf sehr kohlenhydratreiche Speisen zu verzichten. Dies war für mich wie eine Befreiung aus den ganzen negativen Gedankenmustern, die sich durch die Angst vor einer Zunahme ergeben hatten. Sport, besonders Gruppensport, machte mir richtig viel Spaß. Vor meinem Studium hatte ich viel Sport gemacht: Reiten, Inlinern und früher sogar Ballett und Schwimmen.
Was ich damals außerdem sehr hilfreich fand: Die Kompressionsstrumpfhose bei langen Partynächten. Plötzlich konnte ich viel länger durchhalten ohne komisches Ziepen in den müden Beinen. Zudem machten sich erste Veränderungen an meinem Körper bemerkbar – endlich! Doch die anderen Symptome blieben.
Nach meinem Studium beschloss ich dann, den Kampf weiter anzugehen und fand wieder den Mut, andere Fachärzte aufzusuchen. Nach zwei Fachärzten, die mir das Lipödem wieder absprachen („Sie haben nur etwas stämmigere Beine und Cellulite.“ oder „Sie könnten mehr Sport machen, dann gibt sich das schon. Besonders ihre Arme sind sehr untrainiert.“) fand ich schließlich einen Gefäßarzt und Spezialisten für Lipödem.
Bei diesem fand ich endlich die richtige und einfühlsame Beratung, die man sich als Betroffene wünscht. Ich kann deshalb allen nur Mut machen, nach einer schlechten Beratung sich auch eine 2.,3. oder 4. Meinung zu holen und bei den Gesprächen Kritikpunkte offen anzusprechen.
Wir als Patientinnen haben das Recht, respektvoll und unvoreingenommen behandelt zu werden. Nur weil unser Erscheinungsbild vielleicht einen anderen Eindruck erweckt, heißt es nicht, dass wir ungesund oder unsportlich sind.
Ich selbst habe meinen Weg zur Selbstliebe bzw. Selbstakzeptanz erst mithilfe der richtigen ärztlichen Unterstützung gehen können. Außerdem spielt auch die Unterstützung von Freunden und Familie dabei eine große Rolle. Davon möchte ich Euch in einem meiner nächsten Blogeinträge erzählen.
Alles Liebe,
Katharina
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2 Responses
Ich kann deinen Langen Weg von Diagnose bis Akzeptanz nachvollziehen. Ich bekam auch alles häppchenweise und ohne Erklärungen oder hatte das Gefühl ich alleine war für den Istzustand verantwortlich. Ein sogenannter Spezialist behandelte mich wie der Letzte Dreck da ich die Krampfadernoperation nicht bei ihm durchgeführt hatte. Es hieß immer wieder aufstehen Krone richten und weitermachen.
Danke Katharina! ♡♡♡