
Liebe Leserin, lieber Leser,
wir Lipödem-Betroffenen sehen uns ganz oft mit vielen unangenehmen Herausforderungen konfrontiert: Schmerzen, Vorurteile der Gesellschaft, Mehrgewicht, eigene Unsicherheiten… und natürlich das Tragen der Kompression oder das Auseinandersetzen mit der Frage, ob vielleicht sogar eine OP der richtige Weg für einen selbst ist. Ich für meinen Teil bin fest davon überzeugt, dass jede von uns mit den richtigen „Werkzeugen“ abnehmen und persönliche Wünsche und Ziele erreichen kann.
„Deine Beine sind jetzt schon dicker als meine in dem Alter. Willst du nicht endlich mal was ändern?“, sagte mir meine Mutter, als ich 14 Jahre alt war. Wir lebten auf dem Land und es war klar, dass ich einfach nur zu faul war, um abzunehmen. Ich war mit anderen Dingen beschäftigt und alle Versuche, mit Sport abzunehmen, endeten in höllischem Muskelkater. Daher hab ich es oft versucht, scheiterte aber prompt jedes Mal.
Der Unterricht im Gymnasium war so anstrengend, dass ich jeden Nachmittag erstmal eine Runde gepennt habe, bevor was anderes möglich war. Das Mobbing in den Pausen gab mir den Rest. Mit 15 kamen an den Wochenenden Partys dazu, die mir mental viel Kraft gaben, denn in der Gothic-Szene wurde ich wie in einer neuen Familie aufgenommen und ich konnte frei tanzen, wie ich wollte. Das half mir durch die schweren Jahre der Schule und das Abitur machte ich, indem ich jeden Tag aus Gewohnheit in die Schule ging und dort darüber nachdachte, wie ich da am besten rauskomme und meinen eigenen Weg gehen kann. Ich hatte damals einfach nicht die Kraft, gegen Familie und Lehrer zu argumentieren, warum es besser wäre, die Schule abzubrechen. Im Nachhinein war es auch ganz gut, wie es gekommen ist, denn Lehre und Studium führten mich zum Möbelhandel, wo ich ganz glücklich war, Menschen zu ihrer Traumküche beraten zu können.
Als ich Mitte 20 war, sagte eine Freundin: „Du hast bestimmt auch Lipödem. Lass dir doch mal eine Diagnose stellen, dann bekommst du wie ich eine Kompression und vielleicht kannst du zur Liposuktion.“ Ich erklärte ihr, dass ich kein Interesse an so einer Strumpfhose habe und es mich nicht stört, dass ich so dicke Beine habe. Dass mich meine Beine nicht stören würden, war zwar gelogen, aber Strumpfhosen waren und sind echt ein Alptraum für mich, darum kam das einfach nicht in Frage.
Anfang 30 war es dann so weit: ich hatte meinen Mann gefunden und wir waren dabei, unser Haus auszubauen. Für meinen Kinderwunsch habe ich es geschafft, 18 kg in 9 Monaten abzunehmen und siehe da, es klappte endlich. Eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege. Mega geil und total unerwartet, denn wir hatten vorher 3 Jahre erfolglos geübt und die Kinderwunschbehandlung führte 2017 zum verhaltenen Abbruch nach 10 Wochen. Das war einer der schlimmsten Tage in meinem Leben. Gleichzeitig gab genau diese Fehlgeburt mir die Willenskraft, mein Gewicht und damit meine Gesundheit in den Griff zu bekommen.
In der Schwangerschaft begann dann das Desaster mit den Wassereinlagerungen und ich konnte im letzten Trimester nichts mehr machen ohne Schmerzen in Händen, Füßen, Beinen oder Körpermitte zu haben. Alle Bewegungen führten zu Schmerzen, denn ich war geschwollen von oben bis unten. Keiner konnte mir sagen, was ich machen soll. Es war Hochsommer und im 3. Trimester ist das eben „normal“.
Als meine Tochter 2019 dann ihren ersten Geburtstag feierte, waren die Wassereinlagerungen so schlimm, dass ich eine Entzündung am rechten, großen Zeh bekam. Direkt an der Kante vom Nagelbett war eine riesige Wasserblase, die nach der Öffnung vom Arzt einfach nicht abheilen wollte. Und da kam die Diagnose Lipödem Stadium 2-3 mit sekundärem Lymphödem. Ich schaute meinen Arzt an und sagte zu ihm: „Dass ich Lipödem habe, wusste ich schon. Aber dass es davon eine Steigerung gibt, ist mir neu.“ An seine Antwort kann ich mich leider nicht mehr erinnern, aber die Konsequenz war klar: Das, was ich nicht haben wollte, wurde mir verordnet: die Strumpfhose. Horror. Angeblich das Einzige, was im Alltag hilft. Und zur Unterstützung die manuelle Lymphdrainage. Dann noch die Überweisung zum Facharzt und tschüss.
Dann stand ich da. Ich wusste, ich muss diesen Weg jetzt gehen, weil ich es nicht mehr ertragen wollte, dass sich die Haut anfühlt, als würde sie gleich platzen. Von der Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie habe ich erst viel später erfahren, so 2 Jahre ungefähr. Mönchspfeffer und Kurkuma haben bei mir nicht gewirkt, schwimmen gehen war mit Baby nicht regelmäßig möglich, weil sie jedes Mal einen Schnupfen bekam und ich total platt war von den schlaflosen Nächten.
Also hab ich meine erste Versorgung bekommen. Was soll ich sagen? Dieses bockige schwarze Ding habe ich buchstäblich nur 3 Mal angezogen, dann war für mich Schluss. Der Sommer war ohnehin vorbei, die Wassereinlagerungen gingen zurück.
Neues Quartal, neue Versorgung, diesmal farbig und mit Oberschenkel-Strümpfen und Leibteil. Die Version war zwar erträglicher, aber sie landete trotzdem öfter im Schrank als am Körper, bis dann im Frühling die neuen Wassereinlagerungen kamen. Da trug ich sie eben, wenn es sein musste. Eine Wechselversorgung kam dann entsprechend auch.
Da ich die Elternzeit verlängert hatte, nutzte ich seit 2020 die Weiterbildungsmöglichkeiten, die sich nun komplett von zuhause aus konsumieren ließen. Das Fernstudium zur Ernährungsberaterin hatte ich schon 2019 abgeschlossen. Das war einfach, aber nicht hilfreich. Die Empfehlungen der DGE gehen für Lipödem-Betroffene nicht weit genug, um die heilende Wirkung einer gesunden Ernährung zu erleben. Meine eigene Ernährung war zu der Zeit schon durch Intervallfasten, Kalorien zählen und Low Carb optimiert. Aber ich konnte trotzdem nicht weiter abnehmen und das wurmte mich sehr. Ich suchte nach weiteren Wegen, die zum Erfolg führen sollten.
Außerdem war die Ehe in Schieflage geraten und das belastete mich enorm. Die vielen Umstellungen in kurzer Zeit durch den Umzug ins gemeinsame Haus, der Jobwechsel Anfang 2018 und die Geburt unserer Tochter hatten unsere Mann-Frau-Beziehung auf den Nullpunkt gebracht. Meine Bemühungen führten 2020 zu dem Satz meines Mannes „Kümmere dich erst mal um deine Probleme und danach können wir immer noch zur Eheberatung.“ Die Mutter-Kind-Kur im selben Jahr führte zu der Erkenntnis, das ich ihn nicht brauche, um gut für mein Kind zu sorgen, denn die Wochenenden waren in der Kurklinik harmonischer als zuhause mit ihm.
2021 war ich durch diverse Umstände so durcheinander, dass ich ins Krankenhaus musste. Es wurde ein schwere Depression diagnostiziert. Seit dem Selbstmord meines Vaters 2012 war ich immer mal wieder in psychologischer Behandlung und ich kannte es schon, dass ich in unregelmäßigen Abständen depressive Episoden hatte. Nur nie so heftig und so lang, wie nach der Geburt meiner Tochter. Sie hat daran keine Schuld, sie hat nur viele Themen getriggert, die in meiner Kindheit mächtig schief gelaufen sind.
Als ich mich im Krankenhaus erholte, kam der Gedanke, aus dem gemeinsamen Haus auszuziehen. Die Schwestern waren begeistert, die Ärzte dagegen. „Solche Entscheidungen trifft man nicht in der Psychiatrie“, sagten sie. Aber ich spürte, dass es richtig war, also organisierte ich alles vom Krankenhaus aus und 3 Tage nach der Entlassung schlief ich die erste Nacht in meiner eigenen Wohnung auf der Matratze, die ich in meinem Kombi transportiert hatte. Nachdem der Auszug soweit erledigt war und wir unsere Lösung für die wechselnde Kinderbetreuung etabliert hatten, widmete ich mich wieder meiner Weiterbildung und fand meinen Weg zu Damian Richter und Sandy Simon. Wer Damian Richter googelt, wird seine Versprechen von Reichtum und Ruhm durch Persönlichkeitsentwicklung und Coaching finden. Das hat mich aber nicht so sehr gezogen. Mich hat der Gedanke, mein Können so zu vermitteln viel mehr begeistert.
Ich wollte, dass andere Frauen durch mich auch trotz Lipödem, Hashimoto und anderen Erkrankungen ihr Leben in die Hand nehmen und alles tun, was nötig ist, um sich wieder fit und frei zu fühlen.
2022 beendete ich also die Ausbildungen zum VAK-Coach, Impuls-Coach und nutzte die Weiterbildungen „Train the Trainer“, um die Inhalte so zu verpacken, dass ich heute auch Gruppen leiten kann. Seitdem bin ich auf Instagram und Facebook unterwegs und verkünde immer mal wieder meine teilweise doch recht kontroversen Ansichten zu Gesundheit und Mindset, die meiner Meinung nach der Community viel gebracht haben.
2023 entwickelte ich nach mehreren erfolgreichen 1:1 Coachings das AKS-System, das nun in kleinen Gruppen mit bis zu 15 Teilnehmerinnen darin unterstützt, ihren individuellen Weg zu finden, um trotz Lipödem abzunehmen. Denn auch, wenn die Diagnose bei mir erst 2019 kam, war ich schon seit der Pubertät betroffen und kann definitiv sagen: Wenn dein „WARUM“ groß genug ist, kannst du mit Lipödem dein Gewicht verändern und danach gut halten. Du kannst sogar die Symptome so sehr lindern, dass du nicht mehr über den schweren Eingriff der Liposuktion nachdenken musst. Lipödem macht vieles schwerer und ich kenne keine betroffene Frau, die ein einfaches Leben hatte, aber diese vielen Herausforderungen haben uns stark gemacht. Diese Stärke dürfen wir mit Stolz nutzen, um unsere Wünsche und Ziele zu erreichen.
Alles Liebe und bis bald,
Eure Stefanie
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Warum ich davon überzeugt bin, dass jede Lipödem-Betroffene abnehmen kann.
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Eine Antwort
Danke für deinen offenen und ehrlichen Bericht. Zu lesen, das man nicht allein ist, tut mir gut. Zu oft fühle ich mich missverstanden und überfordert mit meinen Lipolymphödem und weiteren gesundheitlichen Problemen.