
Liebe Leserin, lieber Leser,
ist es teilweise nicht erstaunlich, wie uns die Diagnose des Lipödems immer wieder abgesprochen wird? Wer schlank ist, hat kein Lipödem. Schließlich sieht man ja nichts. Wer dick ist, hat auch kein Lipödem. Das ist nur eine Ausrede für Faulheit. Diese Meinungen prasseln immer wieder auf uns ein. Von Personen außerhalb der Community, aber auch von Mitgliedern der Lipödem Bubble. Wir, das sind Botschafterin Britta und Bloggerin Marcy, haben uns mal damit auseinandergesetzt und gemeinsam diesen Beitrag verfasst.
Wir beginnen mal ganz am Anfang: bei uns.
Da ist Marcy. Sie ist 25 Jahre jung, krempelt gerade ihr Leben um. Die Diagnose Lipödem hat sie vor knapp einem Jahr bekommen. Seither kennt sie den Grund für die Schmerzen und die immer neuen Kunstwerke aus blauen Flecken auf ihren Beinen und bewegt sich im Lipödem Alltag mit Selbstmanagements, Kompression, Lymphdrainage und den Gedanken darum, was den Beinen guttut und was eher nicht.
Und dann ist da Britta. Sie ist 44 Jahre alt, hat ihre Lipödem- und Lymphödem-Diagnose vor gut 10 Jahren bekommen. Nach den nicht vollständigen Liposuktionen der Arme und Beine hat sie ihre Schmerzen und auch die Neigung zu blauen Flecken ganz gut im Griff. Das Lymphödem aber nicht so und deshalb gehören Lymphdrainage, Kompression und Hautpflege weiterhin zu ihrem Alltag.
Marcy ist schlank. Britta ist dick.
Marcy bekommt von anderen Menschen gesagt, dass sie kein Lipödem haben kann, sie ist doch schlank. Britta bekommt von anderen Menschen gesagt, dass sie kein Lipödem haben kann, sie ist einfach nur fett. Und dann war da der Augenblick, als Marcy ein Reel auf Instagram hochgeladen hat, in dem sie erzählt, welche Reaktionen sie erhalten hat, als sie vom Lipödem berichtete. Wie ihr die Erkrankung mit abschätzigen und bewertenden Kommentaren abgesprochen wurde, weil sie schlank ist. Fast gleichzeitig gab es unter einem Video von Britta auf Facebook unzählige Kommentare, die ihr unterstellten einfach nur fett und faul zu sein. Die beiden haben sich darüber ausgetauscht, erstmal nur privat.
Doch sie waren sich schnell einig, dass sie mit ihren Erfahrungen einmal mehr an die Öffentlichkeit gehen wollen. Dieses Mal gemeinsam. Weil sie gemeinsam stärker sind und zeigen wollen, dass es nicht diese eine „richtige“ Lipödem-Figur gibt. Sondern ein großes Spektrum, an dem Marcy an einem Ende steht und Britta am anderen Ende davon. Das Lipödem hat viele Gesichter, viele Kleidergrößen, viele Körperformen. Die beiden sind zwei davon und sie konkurrieren nicht miteinander, sie unterstützen sich.
Dann ist plötzlich der Sommer da – für viele klingt das nach Leichtigkeit, aber für die beiden bedeutet es oft Stress. Wo die Kompression im Winter häufig unter langer Kleidung verschwindet, steht sie nun oft im Mittelpunkt, manchmal bewusst, manchmal aber auch ungewollt. Wenn Marcy ihre Kompression trägt, fallen Sätze wie: “Aber du bist doch dünn, was willst du für ein Problem haben? Du brauchst das doch gar nicht.” Ihre blauen Flecken sind unter der Kompression versteckt und die Schmerzen in den Beinen, das Ziehen beim Gehen, sind nicht sichtbar. Also wird ihr nicht geglaubt.
Wenn Britta ihre Kompression trägt, sagen die Leute: “Klar, bei dem Gewicht!” Ihre Diagnose wird nicht immer angezweifelt – aber abgewertet. Als sei das Lipödem nur eine Folge von Übergewicht. Ihre Schmerzen werden selten ernst genommen, sie gelten als “selbstverschuldet”. Sie soll sich einfach mehr bewegen und abnehmen. Wo ist denn das Problem? Außerdem soll sie sich nicht wundern, dass sie Kommentare bekommt. Was läuft sie auch in so knalligen und auffälligen Farben herum? Damit zieht sie die Blicke ja ganz bewusst auf sich, da muss sie halt mit Kommentaren leben. Das ist ja eine reine Provokation.
Ganz ehrlich? Vielleicht ist es das. Vielleicht provoziert es, wenn Frauen mit Lipödem sich nicht verstecken wollen. Wenn sie Farbe bekennen und sich nicht schämen. Wenn sie Raum einnehmen, statt sich klein zu machen und sich zurückzuziehen. Aber das ist nicht unser Problem. Sondern das derjenigen Personen, die solche Kommentare schreiben.
Beide müssen sich ständig rechtfertigen. Marcy dafür, dass sie Lipödem hat – Britta dafür, warum sie Lipödem hat. Beide erleben Ablehnung. Auf unterschiedliche Weise. Ihr Sommer ist voll mit skeptischen Blicken Fremder, mit Fragen und Vorurteilen. Viel zu oft ist es nicht nur die Hitze, die die beiden ins Schwitzen kommen lässt.
Sie leben in Körpern, die ständig bewertet werden. Müssen sich erklären und sind unangenehmen Fragen und Kommentaren ausgesetzt. Und das zermürbt. Es nimmt die Energie, die sie eigentlich für sich selbst bräuchten, um mit dem Schmerz umzugehen und sich selbst zu akzeptieren.
Wenn du selbst betroffen bist, möchten wir dir gerne ein paar warme Worte mit auf den Weg geben. Vergleiche dich nicht mit anderen. Erst recht nicht mit dem, was du in den sozialen Medien siehst. Dein Weg mit Lipödem ist eben dein Weg mit Lipödem. Es ist okay, wenn du an manchen Tagen keine Lust auf die Kompression hast. Es ist okay, wenn du dich in deinem Körper mal nicht wohlfühlst und dich lieber verstecken magst. Und genauso ist es okay, wenn du dich schön findest – vor allem in deinen Lieblingsfarben und diese der Welt zeigst!
Was nicht okay ist, ist den Körper und das Leiden der anderen zu beurteilen. Nur weil jemand schlank ist, heißt es nicht, dass er oder sie weniger leidet als jemand, der dick ist. Eine Kompression ist niemals ein Luxusartikel oder bloß ein modisches Accessoire. Sie ist ein notwendiges medizinisches Hilfsmittel.
Es ist wie bei uns. Wir, Britta und Marcy, sind unterschiedlich. Unsere Körper sind unterschiedlich. Aber das Lipödem ist echt.
Wenn du das nächste Mal jemanden siehst, der nicht in dein Schönheitsideal oder in dein „Klischee“ von Lipödem passt: Atme durch. Behalte deinen Kommentar für dich. Und fang an, dein Klischee loszulassen. Wie wäre es statt eines Kommentars mit einem Gedankenspiel? Statt etwas zu kommentieren, überlegst du dir, was dir an der Person gefällt, was dich beeindruckt. Das kannst du dann auch posten.
Stronger together
Eure Marcy & Britta
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3 Antworten
Toller Beitrag, Chapeau! Dem ist nichts hinzuzufügen!
Totlachen offen und mutig!!! Weiter so!,,
Sorry, Fehlerteufel!!!!
Richtig ist: Total mutig und offen! Weiter so!