
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
an manchen Tagen sind die Kontraste und Unterschiede im Verhalten von Menschen groß. Das habe ich jetzt wieder erlebt. Davon erzähle ich euch in diesem Beitrag.

Den ganzen Tag habe ich auf einer Veranstaltung verbracht – einem großen, bunten, fröhlichen Event. Es waren die unterschiedlichsten Menschen da, groß und klein, jung und alt, gesund oder eben auch nicht. Alle hatten, so hoffe ich, einen schönen Tag, mit positiven Eindrücken. Zumindest ist es das, was ich den Besuchern an unserem Frauensache-Stand mitgeben möchte. Mit meinen Kollegen habe ich den Stand aufgebaut, habe viel Gespräche geführt und hoffentlich Verständnis und Aufmerksamkeit auf unsere chronische Erkrankung Lipödem gelenkt.
Nach einem langen Tag und vielen schönen Eindrücken, aber auch müde und mit schmerzenden Füßen, haben wir unseren Stand, wie auch alle anderen, abgebaut. Wir haben uns verabschiedet und jeder machte sich auf den Heimweg. Ich hatte etwas mehr als 3 Stunden Zugfahrt vor mir. Der Regionalzug war ziemlich voll, weil ich früh dran war und der Zug erst dort startete, konnte ich einen Sitzplatz ergattern. Der Umstieg in den ICE eine gute Stunde später klappte reibungslos, der ICE war ebenfalls voll, ich musste stehen. Okay, das geht, wenn es sein muss. Es war ebenfalls eine Stunde Fahrt. Danach stand noch ein Umstieg in die S-Bahn an. Ich stehe am Gleis und muss ein paar Minuten warten. Ausnahmsweise habe ich mal keine In-ear Kopfhörer in den Ohren. Links von mir fährt eine Rolltreppe von der U-Bahn hoch zum S-Bahngleis. Auf der Rolltreppe steht ein älterer Mann. Ein Typ wie der frühere bayrische Ministerpräsident Stoiber, der Mann ist in Tracht gekleidet. Während er hochfährt guckt er mich an. Bewegt die flachen Hände vor seinem Bauch von unten nach oben und brabbelt etwas vor sich hin. Er geht an mir vorbei, schaut mich an und sagt laut: fett.

Das ist nun keine bahnbrechende Erkenntnis. Dass ich fett bin, ich bevorzuge hier allerdings das Word „dick“ oder „adipös“, das habe ich selber bereits festgestellt, vor vielen Jahren schon. Dafür brauche ich keine Beurteilung eines fremden Mannes. Versteht mich nicht falsch. Ich möchte kein Mitleid oder aufmunternde Worte. Genauso wenig möchte ich mein Übergewicht verharmlosen oder es verherrlichen. Ich bin mir der Risiken durchaus bewusst. Eine Veränderung meines Äußeren, welches über die Jahre geformt wurde durch Übergewicht, Lipödem und Lymphödem, ist nicht leicht und nicht mal eben getan. Wäre es leicht, dann wäre mein Erscheinungsbild sicherlich anderes.
So schlimm es ist, ich habe mich über die Jahre an die gemeinen Blicke und Gesten sowie die abwertenden Kommentare im realen Leben gewöhnt. Die dort fast ausschließlich von Männern kommen. Sind das Männer, die sich von der Farbe pink, vom Gendern und eben von übergewichtigen Frauen provoziert oder bedroht fühlen? Ich weiß es nicht, die Feministin in mir hält es aber für möglich. Geballte herabwürdigende Kommentare in sozialen Medien beschäftigen mich erstaunlicherweise stärker, auch dann, wenn sie sich auf andere Menschen beziehen. Aber das ist eine andere Geschichte. Und doch frage ich mich in solchen Situationen wie da am S-Bahngleis immer, was solchen Menschen diese Beurteilung (m)eines Körpers bringt oder gibt. Denken die sich überhaupt etwas dabei? Egal wie, es ist beleidigend und herabwürdigend. Dieser Mann stellt sich in diesem Moment über mich. Glaubt er, dass er damit Macht über mich hat? Er hält sich jedenfalls für etwas besseres. Dabei ist aus meiner Sicht genau das falsch: jeder Mensch ist gut und richtig so, wie er ist. Niemand hat das Recht einen Körper zu beurteilen.

Ein Tag voller Begegnungen, Engagement und positiver Energie endet mit einer Erinnerung daran, wie verletzend gesellschaftliche Urteile sein können. Während wir uns bemühen, Aufklärung und Verständnis für eine chronische Erkrankung wie das Lipödem und in meinem Fall auch die Adipositas zu schaffen, zeigt eine beiläufige Bemerkung, wie weit der Weg zu echter Akzeptanz noch ist. Doch gerade solche Momente bestärken mich darin, weiter sichtbar zu sein, mich nicht in meinem Schneckenhaus zu verkriechen und weiter aufzuklären – und daran zu erinnern, dass jeder Mensch Respekt verdient. Körper sind keine Objekte zur Bewertung. Sie sind Ausdruck von Leben, Erfahrung und Würde.
Übrigens ist der echte Edmund Stoiber – unabhängig davon, wie man zu seiner Politik steht – ein ausgesprochen herzlicher und freundlicher Mensch. Bei mehreren zufälligen Begegnungen hatte er stets ein Lächeln auf den Lippen und ein nettes Wort für jeden.
Alles Liebe, Britta
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