
Liebe Leserin, lieber Leser,
„Nimm den Finger aus dem Arsch und beweg dich endlich.“ Diesen Satz bekam ich, als ich nach meinem Arbeitsunfall vor Schmerzen kaum einen Schritt machen konnte. Mein Körper war angeschlagen, mein Wille ungebrochen, doch ich wurde zur Ruhe gezwungen. Was niemand sah: Ich wollte mich bewegen. Nicht, um zu funktionieren, sondern um wieder zu leben. Ich habe gekämpft und mir meine Bewegung Stück für Stück zurückgeholt. Nicht zu 100 %. Aber genug, um sagen zu können: Ich bin angekommen und mehr als zufrieden. Heute bewege ich mich aus Liebe. Aus Freiheit. Aus purer Lebenslust. Mit Lipödem. Mit Kurven. Mit allem, was mich ausmacht.
Anfang 2025 erfüllte ich mir einen lang gehegten Traum: Ich absolvierte meine Ausbildung zur Pilatestrainerin. Es war keine leichte Reise. Die Dozentin kam aus dem klassischen Ballett, mit all den körperlichen Idealen, die diesem Bild entsprechen. Ich? Ich entsprach diesem Bild nicht. Wieder einmal musste ich mich behaupten. Wieder einmal fühlte ich mich beobachtet, bewertet, unterschätzt. Und wieder einmal hielt ich dagegen. Mit Haltung. Mit Kraft. Mit Erfahrung. Ich habe bestanden und dabei weit mehr gewonnen als ein Zertifikat: Ich habe mir selbst bewiesen, dass mein Körper alles kann. Auf seine Weise. Heute ist Bewegung für mich keine Strafe mehr. Sie ist Freiheit. Sie ist innere Balance. Sie ist mein JA zum Leben. Mit Lipödem, mit Kurven, mit allem, was ich bin. Sport bedeutet für mich: Ich spüre meinen Körper. Ich bin präsent. Ich bin stark. Und manchmal bin ich auch weich, langsam, verletzlich. Aber ich bin immer in Bewegung. Natürlich gibt es Rückschläge. Natürlich gibt es Tage, an denen mein Körper schwerer wirkt als sonst. An denen das Lipödem mehr Raum einnimmt als mir lieb ist. Aber ich weiß: Wenn ich mich nicht bewege, geht es mir schlechter. Bewegung ist mein Anker. Mein Werkzeug. Mein Zuhause. Ich teile meine Geschichte, weil ich weiß, wie viele Frauen sich schämen, wenn sie Sport machen. Weil sie denken, sie sehen dabei nicht gut genug aus. Weil sie glauben, sie müssten erst schlank sein, bevor sie sich bewegen dürfen. Ich sage: NEIN. Bewegung gehört dir. Jetzt. Genau so, wie du bist. Ob Walken, Pilates, Tanzen, Spazierengehen oder einfach nur Dehnen: Bewegung ist ein Ausdruck von Selbstliebe. Von Würde. Von Lebenskraft. Und ja, es darf schwer sein. Aber es darf auch leicht werden. Bewegung kann dich zurück ins Leben holen. So wie sie es bei mir tut. Für alle Frauen mit Lipödem, die sich manchmal fragen, ob sie stark genug sind: Ihr seid es. Nicht irgendwann. Jetzt.
.„Mein Körper ist kein Feind, den ich bekämpfen muss, sondern ein Partner, den ich verstehen und respektieren darf.“ Ich bin Mellani (Heidekrüger), 45 Jahre, heute Bewegungsliebhaberin, Intu-Lymphcoach, Pilatestrainerin und Nordic-Walking-Trainerin. Doch das war nicht immer so. Bewegung war für mich lange Zeit kein Ausdruck von Leichtigkeit oder Freude. Im Gegenteil: Sport war für mich ein Mittel zum Zweck. Ein Werkzeug, das ich nutzte, um mich kleiner zu machen, körperlich und innerlich. Ich wollte dazugehören, wollte meinen Körper anpassen, ihn zurechtbiegen, kontrollieren. Ich trainierte gegen mich, nicht für mich. Ich hasste, was ich im Spiegel sah, also versuchte ich, es wegzuschwitzen.
Schon als Jugendliche war ich sportlich, aber eben anders. Ich spielte über zehn Jahre lang leidenschaftlich Faustball. Ich war ehrgeizig, fleißig, teamorientiert. Aber auch da war ich nie die Leichteste, nie die Schnellste, nie die, die bewundert wurde. Stattdessen wurde ich oft verspottet: „Rittersport – quadratisch, praktisch, einfach“, oder „Greenpeace rettet die Wale.“ Diese Worte haben sich tief eingegraben. Und trotzdem: Ich habe nie aufgehört zu spielen. Nie aufgehört, mich zu bewegen. Auch wenn es weh tat, innerlich wie äußerlich.
Sportschießen als mentale Stärke und neue Wege:
Nach der Schulzeit musste ich wegen meiner Ausbildung leider mit Faustball aufhören. Gleichzeitig war ich noch als Sportschützin und Trainerin aktiv und das mit beachtlichem Erfolg. Dieser Sport hat mich viele Jahre begleitet und mir gezeigt, wie wichtig mentale Stärke, Ruhe und Fokus sind. Während ich als Faustballspielerin viel Energie nach außen getragen habe, war das Sportschießen eine Disziplin, die meine innere Stärke förderte. Auch wenn ich das Schießen nach meinem Auszug von zu Hause irgendwann beendet habe, es war ein prägender Teil meines sportlichen Weges, den ich bis heute in mir trage.
Anfang der 2000er Jahre war ich mehrere Jahre in einem Fitnessstudio angemeldet. Anfangs motiviert, gemeinsam mit Arbeitskollegen dort aktiv zu sein. Doch statt mich an den Geräten auszupowern, wich ich schnell auf andere Möglichkeiten aus: Wir spielten oft Squash, eine dynamische Sportart, die mir mehr Spaß machte als das klassische Gerätetraining. Der Grund dafür war traurig, aber ehrlich: Die Blicke der anderen im Studio setzten mir zu. Gerade in dieser Zeit war es gesellschaftlich leider immer noch stigmatisiert, wenn Menschen mit einem nicht „perfekten“ Körperbild trainierten. Ich fühlte mich oft beobachtet, bewertet und das machte es schwer, wirklich frei zu trainieren.
Liebe, die bewegt:
Ein ganz besonderer Wendepunkt war auch die Zeit, in der ich meinen heutigen Mann kennengelernt habe. Mit ihm kam nicht nur Liebe, sondern auch neue Motivation in mein Leben zurück, gerade was Bewegung betrifft. Durch ihn fand ich wieder zurück zum Laufen, zu mehr sportlichen Aktivitäten, zu einem bewussteren Körpergefühl. Ich spürte wieder Freude an Bewegung, nicht als Pflicht, sondern als Ausdruck von Lebendigkeit. Wir gingen gemeinsam wandern, joggen oder bewegten uns einfach draußen, es war das gemeinsame Erleben, das mich antrieb.
Tanzen, mein Raum der Freiheit:
Doch auch davor hatte Bewegung in meinem Leben immer wieder Platz, vor allem durch Musik. Tanzen ist für mich ein Ventil. Ich liebe es, feiern zu gehen und mich auf der Tanzfläche auszutoben. Oft fühle ich mich dort freier als irgendwo sonst. Schamfrei, lebendig, einfach ich. Und wenn es mir mal nicht gut ging, war ich trotzdem da. Am Rand der Tanzfläche, in meiner eigenen Welt, tanzend, fühlend. Auch zu Hause drehe ich die Musik laut auf und bewege mich, wenn mich niemand sieht. Musik ist und bleibt mein geheimer Schlüssel zur Bewegung, ein Raum, in dem ich mich spüren darf, ohne bewertet zu werden. Und auch heute noch: Beim Pilates, beim Laufen, beim Walken: drehe ich die Musik auf und tanze durch mein Leben.
Dann kam 2019, der große Einschnitt. Ein schwerer Arbeitsunfall zwang mich zur absoluten Ruhe. Die Bewegung, die mir bis dahin immer Halt gegeben hatte, war plötzlich nicht mehr möglich. Ich war ausgeknockt, körperlich und seelisch. Und wieder einmal musste ich lernen, neu anzufangen. Schritt für Schritt. Mich aufzurichten, mich zu mobilisieren. Mein Körper schrie nach Aktivität, nach Freiheit, nach Energie. Doch nichts ging schnell. Nichts ging leicht. Und doch: Ich stand wieder auf. Ich kämpfte mich zurück. Nicht, um besser auszusehen. Nicht, um jemand anderem zu gefallen. Sondern weil ich spürte: Bewegung ist mein Leben. Sie macht mich stark. Sie macht mich frei. Sie gehört zu mir.
Pilates-Ausbildung: Bewegung trotz Widerstand:
Diese Erfahrung hat mich tief geprägt, sie zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Auch während meiner Pilates-Ausbildung wurde mir erneut bewusst, wie stark die Stigmatisierung ist, wenn man eine sichtbare Diagnose wie Lipödem trägt. Die Blicke, die unausgesprochenen Zweifel, das Gefühl, sich mehr beweisen zu müssen als andere, all das war wieder da. Und trotzdem bin ich diesen Weg gegangen, weil ich an Bewegung glaube. Weil ich daran glaube, dass jede Frau das Recht hat, sich zu bewegen und das auch zu vermitteln, unabhängig von ihrer Körperform oder einer Diagnose. Deshalb kann ich heute nur umso mehr appellieren: Sucht euch eine Sportart, eine Gruppe, ein Umfeld, in dem ihr euch wohlfühlt. Denn Bewegung ist nicht ersetzbar. Sie ist Lebensqualität, Selbstwirksamkeit, Selbstfürsorge. Aber sie sollte auch Freude machen, Spaß bringen, Leichtigkeit erzeugen, gerade dann, wenn das Leben schwer ist. Genau deshalb baue ich aktuell Kurskonzepte auf, speziell im Bereich Pilates, die sich gezielt an Betroffene mit Lipödem richten. Räume, in denen man sich zeigen darf, wie man ist. In denen man nicht verglichen, sondern verstanden wird. In denen Bewegung nicht Leistung bedeutet, sondern Verbindung. Verbindung zum eigenen Körper, zum Atem und zur inneren Kraft.
Rückblick mit Stolz und einem Blick nach vorn:
Wenn ich heute zurückschaue, sehe ich nicht nur die Herausforderungen. Ich sehe auch die Erfolge. Ich bin nicht nur durch schwierige Zeiten gegangen, ich bin auch durch Ziele gelaufen. Ich habe Medaillen und Pokale bekommen, ich habe beim Faustball gekämpft, mal verloren, aber meistens gewonnen. Ich habe beim Sportschießen Abzeichen und Auszeichnungen errungen und das alles mit dem Wissen: Ich habe Lipödem. Und trotzdem bin ich angetreten. Immer und immer wieder.
Ich bin nicht auf dem Sofa geblieben, obwohl viele gespottet haben. Ich habe mich bewegt. Ich habe mich gezeigt. Und ich tue es heute noch. Voller Freude, mit einem Lächeln im Gesicht und einem „Jetzt erst recht“ im Herzen. Ich bin nicht perfekt, aber ich bin präsent. Ich bin nicht fehlerfrei, aber ich bin mutig genug, immer wieder aufzustehen.
Natürlich kenne ich ihn auch, den inneren Schweinehund. Aber wir sind mittlerweile Kumpel. Ich halte die Leine, nicht er. Ich bestimme, wann wir gehen, wie weit, wie schnell. Ich führe. Und das fühlt sich verdammt gut an.
Bewegung ist für mich kein Beweis mehr, dass ich genüge. Sie ist ein Ausdruck davon, dass ich lebe. Sie ist mein Wegbegleiter, durch gute und schwere Tage. Und mein Appell an dich: Du musst nichts leisten, um dich zu bewegen. Du musst nur anfangen, in deinem Tempo, mit deinem Mut.
Denn ja, es war nicht leicht.
Aber es hat sich gelohnt.
Und ich würde es immer wieder tun.
Eure Mellani
Beitrag teilen
© 2025 deinestarkeseite.de