
Liebe Leserin, lieber Leser,
es gibt Geschichten, die nicht laut erzählt werden. Weil sie weh tun. Weil sie für die meisten anderen unsichtbar sind. Weil niemand sie hören will. Meine Geschichte beginnt nicht mit einem lauten Knall, sondern mit einem leisen Gefühl, dass etwas nicht stimmt: ein Körper, der sich verändert. Schmerzen, die niemand sieht. Blicke, die schneiden. Worte, die brennen. Doch es sollte eine ganze Weile dauern, bis ich mir einen Reim auf das alles machen konnte.

Ich habe lange geschwiegen. Zu lange. Denn wie erklärt man der Welt, dass man jeden Tag gegen sich selbst kämpft, in einem Körper, der nicht gehorcht, in einer Gesellschaft, die nur die Oberfläche sieht? Lipödem hat mich nicht nur gezeichnet. Es hat mich zerrissen. Und doch bin ich heute hier um zu erzählen, was es bedeutet, sich selbst aus Trümmern zu erheben und sich selbst wieder aufzubauen. Das ist kein Märchen, es ist mein Weg. Roher Schmerz. Echte Angst. Und am Ende: der erste Schritt zur Selbstliebe.
Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass mit mir nicht einfach nur etwas nicht stimmt. Mein Körper war nie wie der der anderen. Schon als Kind und Jugendliche waren meine Beine immer dicker, meine Arme kräftiger, meine Bewegungen nicht so leicht wie bei anderen. Ich war einfach anders, und das sah jeder.
Ich erinnere mich an die verletzenden Blicke. An das Tuscheln hinter meinem Rücken, an die abfälligen Bemerkungen im Sportunterricht oder auf dem Schulhof. „Friss nicht so viel!“ oder „Na? kannst du nicht mehr?“. Ich wusste damals noch nicht, wie sehr mich diese Worte prägen würden. Ich glaubte ihnen. Ich glaubte jedem Wort, jedem Tritt, jedem Blick. Ich fing an, mich selbst zu verachten. Mein Körper wurde zu meinem Feind Nummer eins. Ich zog mich immer mehr zurück, trug nur weite Kleidung, hasste mein Spiegelbild. Die ersten Diäten hatte ich mit 13 Jahren bereits hinter mir. Ich wollte unsichtbar sein. Der Schmerz blieb, egal, wie gut ich mich versteckte. Mit der Zeit wurde es schlimmer. Der Druck und die Schmerzen in meinen Beinen nahmen zu. Ich hatte das Gefühl, in meinem eigenen Körper gefangen zu sein. Jeder Schritt schmerzte, selbst das lange Sitzen im Unterricht tat weh. Und trotzdem sah man mir nichts an. Die Unsichtbarkeit meiner Erkrankung war das Schlimmste (eine Diagnose hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht, also dachten alle, ich esse einfach zu viel und habe darum so dicke Beine). Es war, als würde niemand hören, wie laut ich innerlich schrie.
Angst wurde zu meinem Schatten. Angst vor Blicken, Angst vor wiederholten Schlägen und Tritten in der Schule, Angst vor dem nächsten Tag, denn ich wusste was kommt. Je länger ich mit diesem körperlichen, aber auch seelischem Schmerz und der Ablehnung lebte, desto mehr schlich sich auch die Angst in mein Leben. Die Angst, Blicke auf mich zu ziehen. Die Angst vor Kommentaren. Die Angst vor neuen Arztbesuchen, vor noch einer Person, die mir sagt: ich muss einfach nur abnehmen. Ich entwickelte so auch einen Teil meiner Angststörung, leise, schleichend, zerstörerisch. Ich fühlte mich gefangen, im Schmerz, im Anders-Sein, in mir selbst.

Und doch begann irgendwann etwas in mir zu wachsen: Mut. Ich weiß nicht mehr genau, wann der Moment kam, in dem ich anfing für mich ein- und aufzustehen. Vielleicht der Austausch mit anderen Betroffenen nachdem ich meine Diagnose „Lipödem Stadium 3“ bekommen habe. Vielleicht war es auch ein ganz wertvoller und besonderer Mensch in meinem Leben, der mich ernst nahm. Aber irgendetwas in mir sagte: Du bist mehr als dein Körper. Jetzt ist deine Zeit. Ich begann zu lesen, zu verstehen, zu hinterfragen. Ich erkannte, dass mein Körper nicht „falsch“ war, lediglich krank. Und dass ich nicht schuld daran war.
Selbstakzeptanz kam ganz bestimmt nicht über Nacht. Sie war kein großes Aha-Erlebnis, sondern ein ständiges Auf und Ab. Ich musste lernen, geduldig mit mir zu sein. Ich begann, meinen Körper nicht mehr zu hassen, sondern ihn zu verstehen. Ich fing an, kleine Dinge zu feiern, einen Spaziergang, ein Kleid, in dem ich mich wohlfühlte, ein ehrliches Lächeln im Spiegel. Ich lernte, Grenzen zu setzen, mich abzugrenzen von Kommentaren, von Menschen, die mich klein halten wollten. Ich suchte mir Hilfe, auch therapeutisch. Und ich begann, darüber zu sprechen, nicht mehr zu schweigen.

Ich bin noch nicht da wo ich mich in Zukunft sehe. Ich kämpfe noch immer mit Schmerzen, mit Rückschlägen, mit Ängsten. Aber ich kämpfe nicht mehr gegen mich, sondern für mich.
Ich bin nicht nur das Lipödem. Ich bin mutig. Ich bin stark. Ich bin sichtbar auch wenn mein Schmerz es manchmal nicht ist. Und ich liebe mich. Nicht immer. Aber immer öfter. Und das ist für mich der größte Sieg. Heute trage ich kurze Kleider, enge Jeans, ich tanze und lebe mein Leben Hand in Hand mit meinen Lipödem-Accessoires.
Ich wünsche es auch dir so so so sehr, dass du dich mit mehr Liebe betrachten kannst, du hast es nämlich verdient.
Alles Liebe,
deine Katy
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